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Am Rande der Legalität. Zum Verbot der NPD

5. März 2012

Das letzte Verfahren eines Antrags des damaligen Innenminister Otto Schily (SPD), die NPD zu verbieten, wurde vor fast 10 Jahren vom Bundesverfassungsgericht verworfen. Die Vorwürfe umfassten die Delikte des Antisemitismus, der Volksverhetzung, des Rassismus, der Verherrlichung der NS-Diktatur und der Leugnung des Holocaust. Einzelnen Funktionären und Mitgliedern der NPD konnten diese Straftaten und Vergehen zugeordnet werden. Und es hieß, dass diese Partei sich als eine Nachfolgeorganisation der NSdAP verstand.

Der seinerzeitige offizielle Rechtsvertreter der NPD, Horst Mahler, setzte in seiner Verteidigungsstrategie auf die nicht unerhebliche Unterwanderung der NPD durch Verfassungs- und Staatsschutz, angesichts derer die Urheberschaft der identifizierten Straftaten diffus geriet und womöglich als gezielte Provokationen von Verfassungsschutzleuten in der Partei lanciert worden sein könnten. Einige Führungsfiguren der NPD schienen in der Tat von den als Gegenleistung getätigten materiellen Zuwendungen durch den VS erheblich zu profitieren und einen Lebensstil zu pflegen, der ihrer realen Einkommenssituation nicht entsprach. Offenbar war das Ausmaß der Unterwanderung der Partei durch deutsche und möglicherweise auch ausländische Dienste so groß, dass drei Bundesverfassungsrichter eine Partei nicht verbieten mochten, deren rechtswidrige Aktivitäten in erheblichem Umfang auf das Wirken von Staatsbeamten und Spitzeln zurückzuführen sein könnten. Über ein Verbot könne erst dann mit Aussicht auf Erfolg nachgedacht werden, wenn zuvor alle V-Leute abgezogen worden seien und sich auch danach weiterhin Straftaten durch Parteifunktionäre und -mitglieder nachweisen ließen. Die NPD wurde also nicht verboten. Die Blamage des gescheiterten Verbotsantrages des Innenministers belegte den komplizierten Status einer Partei, die unter der eindeutigen Kontrolle des Staates stand und steht.

Mahler allerdings nutzte die Gelegenheit, eine in rechtsextremen Kreisen verbreitete Argumentationsfigur erneut aufs Tapet zu bringen, in dem er argumentierte, daß Delikte wie „Volksverhetzung“ und „Rassismus“ sich als Straftatsbestände gar nicht eindeutig fassen ließen, sondern Ausdruck gewisser politischer Vorentscheidungen seien, die durchaus nach Belieben variabel gehandelt werden könnten. Damit, so die Argumentation, sollten nicht Straftaten geahndet, sondern Diskussionen über bestimmte Themen verhindert werden. Paragraph 130 StGB habe damit den Charakter eines Gummiparagraphen, vergleichbar den „Boykotthetze“-Paragraphen der DDR-Justiz. „Maulkorbgesetze“ jedoch stünden einer demokratischen Verfassung nicht gut an. In diesem Punkt stimmten ihm die Richter nicht zu, denn angesichts der deutschen Vergangenheit sei es gerade ein Gebot für die Bewahrung einer demokratischen Gesellschaft, alle Varianten von offensivem Fremdenhass oder Rassismus“unter Strafe zu stellen.

Jetzt, 2012, war eine neue Situation eingetreten, denn die Morde und die Aktionen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) belegten, dass Sympathisanten und „geistige Mittäter“ dieser Mordserie in der NPD zu finden waren. Hinzu kam, dass rechte Gruppen und Parteien ausserhalb der NPD durch ihre ausländerfeindlichen und antiislamischen Parolen eine gegen die Einwanderer gerichtete Stimmungsmache ausdrückten. Ausserdem wurde eine positive Resonanz dieser Morde innerhalb der unterschiedlichen Kammeradschaften festgestellt. Es besteht durchaus die Gefahr, dass eine „zweite“ oder „dritte Generation“ bereit ist, die Mordserie gegen türkische Ladenbesitzer und andere Einwanderer fortzusetzen.

Das Bundeskriminalamt und die Dienste hatten aus dem Krieg gegen die Rote Armeefraktion (RAF) gelernt, dass die politische Verankerung der Ideen von Gewalt und Mord in den unterschiedlichen Generationen und Milieus dem gezielten Terror eine organisatorische und personale Kontinuität geben konnte, während die staatlichen Stellen über diese Hintergründe die Übersicht verloren. Diese Partei wurde als der legale Arm einer ausserparlamentarischen Rechten angesehen. Würde diese Partei verboten, verlöre der Rechtsradikalismus eine organisatorische Ausrichtung. Die Politiker der Parteien und die Polizeioffiziere dachten deshalb darüber nach, ob ein Verbot der NPD die Fundamente des Rechtsradikalismus zerstören würde oder ob es ihn dadurch umgekehrt radikalisierte und jeden Zugriff erschwerte, weil die NPD und die vielen Agenten ihre Ordnungsfunktion nicht mehr wahrnehmen konnten.
Die NPD als Ordnungsfaktor
Als Adolf von Thadden 1964 die NPD gründete, war er daran interessiert, sie von der Sozialistischen Reichspartei (SRP) abzusetzen, die 1952 als Nachfolgepartei der NSdAP vom Bundesverfassungsgericht verboten wurde. Die „Deutsche Reichspartei“ (DRP), eine Neugründung, kam über den Status einer „Kader- und Sammlungspartei“ nicht hinaus. Die Hakenkreuzsymbole, mit denen 1959 Synagogen geschändet wurden, machten diese Partei für die Wähler endgültig unmöglich. Sie gewann kaum 1% der Wählerstimmen. Adolf von Thadden wollte mit der NPD eine nationalliberale und eher bürgerliche „Angestellten und Arbeiterpartei“ gründen, die den Verschleiss der christlichen und sozialdemokratischen Parteien im konservativen Sinn politisierte. Er war ausserdem vom Interesse der Jugend überzeugt, sich eher nach Rechts zu orientieren. So falsch lag Thadden nicht, denn die „Grosse Koalition“ bildete vorerst einen Endpunkt der Koexistenz der zwei politischen Lager in Westdeutschland. Ausserdem liess sich der kulturelle Widerspruch des alten und des neuen Deutschlands kaum überbrücken. Die jungen Generationen opponierten in einer Jugend- und Studentenrevolte gegen die Werte der Nachkriegsgesellschaft. Der Aufruhr erreichte auch die rechte Jugend. 1968 fehlten der NPD wenige Stimmen, um die Fünfprozentklausel zu überspringen. Die hohe Wahlbeteiligung und die Begeisterung der Jugend für Willy Brandt verhinderten den Aufstieg der NPD und ihren Einzug in den Bundestag.

Danach setzte der Abstieg dieser Partei ein. Ihr Erfolg mobilisierte eine antifaschistische Front der etablierten Parteien, die viel Geld in Kampagnen, Gruppierungen und Projekten investierten, die neue Rechte als Neonazis zu entlarven. Ausserdem stiegen die Dienste ein, diese Partei erneut zu unterwandern. Dem Verbot der SRP folgte 1956 das Verbot der KPD. Die neue Rechte und neue Linke mussten im Sinne der Verbotsurteile durch das Bundesverfassungsgericht die Kriterien erfüllen, sich von der politischen Traditionen der NS – Diktatur oder der Diktatur des Proletariats zu lösen. Beide Parteien mussten gerichtliche und verfassungsmässige Auflagen einer „wehrhaften Demokratie“ erfüllen, um sich irgendwann als „Neugründungen“ legalisieren zu können. 1964 gab sich die NPD ein nationalliberales Programm und wollte an die Erfolge der „Freiheitlichen“ (FPÖ) in Österreich anschliessen. Die DKP akzeptierte die Rechtsgrundlage des Grundgesetzes und gründete sich 1968 im Vorfeld der neuen Ostverträge als eine sozialdemokratisch inspirierte, fortschrittliche Partei. Beide Parteien mussten um ihren politischen Status ringen, was der DKP gelang, während sich die NPD dem Naziverdacht nicht entziehen konnte.

Das Westabteilung der SED, die an der Neugründung der DKP beteiligt war, achtete darauf, neue, junge und offene Kader einzusetzen, die sich den strengen Auflagen von Gesetz und Staat nicht widersetzten. Die alten Genossen blieben in der „illegalen KPD“. Die NPD hatte in der Kaderfrage Schwierigkeiten, denn selbst die jungen Akteure lebten noch in der Stimmung und in der Gedankenwelt der SRP und des Bundes Deutscher Jugend (BDJ). Nach 1945 hatten OSS und CIA eine geheime Armee in Deutschland (Gladio) aufgebaut, die als Partisanen im Falle einer sowjetischen Invasion gegen die Rote Armee kämpfen sollte. Der radikale Antikommunismus  und die militärische Ausbildung  waren die Grundlage eines „Partisanen“, der sich primär aus SS, GESTAPO und der Wehrmacht rekrutierte. Der SS – General Klaus Barby, in Frankreich als Kriegsverbrecher gesucht, baute die Geheimarmee auf. Seit 1943 hatte die US – Politik Verbindungen zur SS aufgenommen. Allan Dulles, der spätere Chef des CIA, damals noch OSS der USA unter den Präsidenten Franklin D. Roosevelt und Harry Truman, war überzeugt, dass in kurzer Folge nach der deutschen Kapitulation die UdSSR Westeuropa angreifen würde. Zur Abwehr dieser Invasion wurde an die Kämpfer und Spezialisten der deutschen Militärverbände gedacht, einen illegalen Widerstand zu organisieren. Dieser militärische „Untergrund“ verfügte über umfangreiche Waffenlager und Trainingsplätze in Westdeutschland. Die „geheime Armee“ wurde von der US – Army vor den deutschen Behörden geschützt. Reinhard Gehlen, ein General der Fremden Heere Ost, baute die Organisation Gehlen auf, die über ein Agentennetz in Osteuropa und Russland verfügte. Aus dieser Organisation entstand nach 1956 der Bundesnachrichtendienst (BND). Erst 1968 verliess Gehlen auf Anweisung der Sozialliberalen Koalition seinen Posten. Der legale Arm dieser Geheimarmee reichte in die SRP, den BDJ und den Technischen Notdienst hinein. Vorerst waren die illegalen Partisanen und die legalen Propaganda- und Auffangsorganisationen der „Souveränität“ des westdeutschen Teilstaates entzogen. Sie unterlagen der Aufsicht des CIA und der US – Army und später der NATO.

Diese besatzungslegalen Organisationen (SRP, BDJ, TN) rekrutierten alte und junge, neue Kämpfer und verschafften dem Untergrund eine politische Deckung und Legitimation. Über sie erfolgte zugleich die Anwerbung. Ein radikaler Antikommunismus bildete die ideologische Verbindung der Aktivisten. Er war verbunden mit den Kriegserlebnissen und den „militärischen Siegen“ der Wehrmacht an den unterschiedlichen Fronten. Die Amerikaner waren überzeugt, dass die „Kriegsverbrechen“, die diese Partisanen als Spezialisten im Antipartisanenkrieg in Russland, Italien oder Frankreich früher begangen hatten, sie davon abhalten würden, mit dem Gegner zu kollaborieren oder überzulaufen. Die Russen würden sie bestrafen oder erschiessen. Es konnte nicht ausbleiben, dass der Antikommunismus mit einer Verherrlichung der NS – Diktatur verbunden wurde. Der Antisemitismus und Rassismus stand allerdings nicht im Vordergrund, weil die Kommandeure darauf achteten, die amerikanischen Ausbilder und Geldgeber nicht zu verschrecken. Im Schatten der „Nürnberger Prozesse“ und der Massnahmen der „Re-education“ wurde eine Wiedergeburt bzw. eine Konservierung der NS – Ideologie unter dem Vorzeichen eines radikalen Antikommunismus eingeleitet. Die Kommandeure der Geheimarmee, obwohl von der französischen und russischen Justiz gesucht, wurden geschützt und „versteckt“. Die Bestrafung der Naziverbrechen, die in „Nürnberg“ demonstriert wurde, schien nicht das wirkliche Anliegen der US – Stellen zu sein, die im „Kalten Krieg“ sich auf eine Invasion der Roten Armee vorbereiteten. Sie setzten auf die Widerstandskraft der ehemaligen Soldaten und Kämpfer aus den SS – Verbänden. Während die Kommunisten den XX. Parteitag der KPdSU und die Abrechnung mit Stalins Verbrechen und die Experimente des Reformkommunismus in Osteuropa nach 1956 durchlebten, blieb die NS – Ideologie in der „ursprünglichen Radikalität“ in den rechten Kreisen erhalten und fand nicht selten ein positives Echo in den militärischen Traditionsvereinen oder in den deutschen Verwaltungen und Polizeiverbänden.

Erst als die Geheimarmee, ein paar zehntausend Mann, Listen der Liquidierung von Kommunisten und Sozialdemokraten am „Tag X“ aufstellten, die an die europäische Öffentlichkeit gelangten, reagierte die Landesregierung in Hessen nach 1951 unter August Zinn und erreichte das Verbot von SRP und der BDJ. An der Spitze dieser Partei stand der „jüngste Generalmajor“ der ehemaligen Wehrmacht, Otto Ernst Remer, der enge Kontakte zur „Organisation Peter“ in der Gladio – Armee hatte. Bundeskanzler Konrad Adenauer wiegelte noch 1956 ab und wollte nicht in die inneren Angelegenheiten der NATO und der US – Army eingreifen. Die NATO – Stäbe befehligten inzwischen diese Partisanen- und Geheimarmee, die in ganz Europa aufgebaut wurde und die ausserhalb der Legalität und der Souveränität der einzelnen Staaten eingerichtet wurde. In Italien und Frankreich bestand die Aufgabe dieser geheimen Verbände darin, die zugleich Verbindungen mit den militärischen Sicherheits- und Geheimdiensten und der US – Army hatten, Volksfrontregierungen oder Koalitionen mit den Kommunisten zu verhindern. Die „Jaltaordnung“ sollte gegen kommunistische Ziele geschützt werden. Der Rechtsradikalismus in Westdeutschland hatte genauso diesen politischen Hintergrund und hatte deshalb den Schutz der US – Army und die Bewunderung des Präsidenten Harry Truman. Zugleich war der Rechtsradikalismus eng verwoben mit der Organisation Gehlen, dem späteren BND. Das Verbot der Rechtsorganisationen SRP und BDJ, 1952, drückte das doppelte Recht aus, das in der Bundesrepublik bestand. Die Besatzungsmacht schütze die Untergrundarmee, die erst in den späten sechziger Jahren aufgelöst wurde und „Ableger“ noch in der Gegenwart aufweist. Das Bundesverfassungsgericht konnte die politischen „Organe“ dieser Armee verbieten und auflösen und klagte dadurch die Souveränität der Bundesrepublik ein.

Die DRP und die NPD mussten mit dem „Kaderstamm“ umgehen, der nicht selten aus den jungen SS- oder Wehrmachtsoffizieren bestand, die in der Untergrundarmee gedient hatten und die nun nach einer zivilen und politischen Verwendung suchten. Sie verhinderten letztlich die Anpassung der NPD an die neuen, politischen Verhältnisse der Bundesrepublik und sie beeinflussten zugleich die unterschiedlichen Kammeradschaften, Initiativen, Kleinparteien und Wehrsportgruppen ausserhalb der NPD. Diese Partei wies ein soziales Umfeld auf, einen „Ausserparlamentarismus“, ähnlich wie bei der DKP, der einer Eigendynamik ausgesetzt war. Während der Einfluss der Kommunisten über eine gestaffelte Bündnispolitik bis in die SPD, die Gewerkschaften, die Friedensbewegung, die Universitäten und in das Bürgertum hineinreichte, weil er sich „sozialdemokratisch“ geöffnet hatte und verhalten die „Friedenspolitik“ der DDR vertrat, hatte die NPD Schwierigkeiten mit den politischen Aussenseitern und mit den etablierten Parteien. Es war schwer, an die Politik oder die Mentalität der christlichen oder sozialdemokratischen Parteigänger anzuschliessen. Es war schwierig, diese für die Politik der NPD zugewinnen. Im linken Lager entwickelte die DKP so etwas wie „Hegemonie“. Im rechten Lager hatte die NPD Schwierigkeiten, sich durchzusetzen und die Ansätze von NS – Ideologie zu unterbinden. Das gelang schon deshalb nicht, weil der politische Gegner, die verschiedenen Dienste oder das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) oder die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) aus der DDR den rechten Ausserparlamentarismus unterwandert hatte, um an Informationen über die Geheimarmee zu gelangen oder um politische Kampagnen anzustossen, die den „Neofaschismus“ im Westen offenlegen sollten.

Trotzdem erfüllten die beiden „reformierten“ Extremparteien Ordnungsaufgaben. Die DKP bekämpfte den utopischen „Linksradikalismus“ und sorgte für die Legalität der ausserparlamentarischen Aktivitäten, bekam allerdings die RAF, andere Partisanengruppen und die Autonomen nicht in den Griff. Die NPD bemühte sich, die Radikalisierung der Kameradschaften zu unterbinden, hatte jedoch kaum Einfluss auf offene Nazigruppen. Der Rechtsradikalismus hatte bisher keine Verbindungen oder Ansätze zum „bewaffneten Kampf“. In der aktuellen Situation drehte sich das Verhältnis scheinbar um. Die „Verbürgerlichung“ der NPD bzw. ihre „Intellektualisierung“ misslang, obwohl durch die Vereinigung mit der Deutschen Volksunion (DVU) Anstrengungen unternommen wurden, der Partei einen soliden Charakter zu geben. Der radikale Ausserparlamentarismus beeinflusste nun die NPD und beunruhigte die Staatsagenten in der Partei und die Bundesverfassungsrichter. Die Mordserie der NSU konnte als der Beginn eines offenen Kampfes gegen Migranten erklärt werden. Das wäre der Anfang des Bürgerkrieges in Deutschland. Ein Verbot der NPD könnte diesen Krieg sogar eskalieren, weil niemand mehr Einblick in die Strukturen der illegalen Rechtsgruppen hatte.

Die deutsche Wiedervereinigung 1989 änderte wenig an der Konstellation des linken und rechten Radikalismus. Die  Nationaldemokratische Partei Deutschlands  (NDPD) wurde 1952 auf Veranlassung der SED und des MfS gegründet, weil die Befürchtung bestand, dass die ehemaligen Nazis in der DDR von der SRP oder dem BND im Westen beeinflusst wurden und die Gladio – Armee sogar in der DDR ihre Stützpunkte errichten würde. Die NDPD wurde als „Horchposten“ eingerichtet, agierte im Rahmen der „Nationalen Front“ und gehörte zu den „Blockflöten“. Sie wurde 1989 in die NPD aufgenommen und lieferte eine solide Organisationsstruktur, die den entstehenden, rechten Ausserparlamentarismus vorerst auffangen konnte. Die SED wurde in eine Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) überführt und verfolgte die Auflage, eine Staatspartei in eine demokratische Oppositionspartei zu verwandeln. Sie besass vorerst durch die Regierungsverhandlungen die Garantie einer legalen Existenz. Da das Grundgesetz auf Ostdeutschland übertragen wurde, unterlagen die „neuen“ Links- oder Rechtsparteien dem Anpassungsdruck und den politischen Postulaten der alten Bundesrepublik. Die Linke ging insgesamt gestärkt aus dem Einigungsprozess hervor, während die Rechte mehr und mehr in den Faschismusverdacht geriet. Der sich radikalisierende rechte Ausserparlamentarismus hatte Anteil an diesem Verdacht. Zugleich wurde der „Antifaschismus“ Mittel und Methode der etablierten Parteien, von den sozialen und politischen Widersprüchen der deutschen Einheit abzulenken. Eine „faschistische Gefahr“ bestand durchaus bei der Gründung der Bundesrepublik und wurde von den USA als antikommunistische Abwehr gefördert. Nach dieser Zeitspanne verhinderte eine konsolidierte Wirtschaft und Politik eine Radikalisierung der Verhältnisse. „1968“ erschütterte die Universitäten und Schulen, konnte jedoch als eine „Revolte im Überbau“ kaum die Substanz der Gesellschaft erreichen. Die RAF und die anderen Linksgruppen stiessen sehr schnell an die Grenzen ihrer „Aktionen“. Das „politische System“ als Verfassung, Recht, Vertrag, Parlamentarismus und Parteienprivileg hatte bisher das „Politische“ soweit gehegt, dass an Bürgerkrieg und Revolution in Deutschland nicht zu denken war. Hatten die Morde der NSU und die Resonanz dieser Taten im rechten Lager die Situation verändert?
Die mystischen Grundlagen der nationalsozialistischen Ideologie
Der „Faschismus“ war die konterrevolutionäre Antwort auf die bolschewistische Revolution in Russland und auf die Erfolge des Kriegskommunismus nach 1917. Kleine bewaffnete Gruppen konnten in der Situation der politischen Paralyse der herrschenden Klassen nach einem Krieg oder in den substantiellen Krisen Volksaufstände und Hungerrevolten ausnutzen, um an die Macht zu kommen und langfristig zu halten. Der ehemalige Linkssozialist Benito Mussolini zeigte in Italien, wie 1922 ein Marsch auf Rom organisiert werden konnte und wie die sozialistischen und kommunistischen Gegner ausgeschaltet wurden. Eine Diktatur löste den demokratischen Staat ab, musste sich jedoch sozial zeigen, um die unterschiedlichen Massen nicht gegen sich aufzubringen. Die propagandistische Mobilisierung der Jugend, der Frauen, der Bauern, der Kleinbürger, Angestellten, Arbeiter, der Bürger usw. war Mittel, Begeisterung zu schüren und Zustimmung zu finden.  Schon deshalb standen die Reden des „Duce“, die „Propaganda“, die „politische Ästhetik“ und der Staatsterror im Mittelpunkt der faschistischen Diktatur.

Faschismus und Bolschewismus hatten im zentralen Organisationsaufbau, in der Führerdiktatur, im Verbot aller anderen Parteien, in der Zensur, im hierarchischen Verbund der unterschiedlichen Organisation, in der Macht der Sicherheitspolizei, in der Staatspropaganda und in der Militarisierung der Gesellschaft durchaus Ähnlichkeiten und Parallelen. Sie hatten das Ziel, ein zerrissenes, unterentwickeltes Land zu industrialisieren und die unterschiedlichen Nationen und Völker zum „Vaterland“ aller Werktätigen oder zur „Nation“ zu vereinen. Ein „Hauptvolk“, die Russen oder die Norditaliener, würde das Selbstbestimmungsrecht der anderen Völker und Nationen im staatlichen Machtbereich festlegen. Die „Werktätigen“ als Kollektivbauern, Arbeiter, Angestellte, Ingenieure, Soldaten, Intelligenz, Geheimpolizei, Parteiaktivisten „verdeckten“ in der Stalindiktatur die Realität von Machteliten und die Existenz einer primär „politisch herrschenden  Minorität“. Bei Mussolini gab es neben dem Kapital die „Arbeiter der Faust und der Stirn“. Die „Arbeiterklasse“ wurde aus machtpolitischen und propagandistischen Gründen umdefiniert und auf die Vielzahl der entwurzelten Zwischenschichten zwischen Bauernschaft und Industrieproletariat bezogen.

Ein „Staatskapitalismus“ als zentrale Planung, Staatswirtschaft, Aufrüstung, Militär, Disziplin und Wissenschaft bestimmte beide Herrschaftsformen, koexistierte im Faschismus jedoch mit einem starken Privat- und Finanzkapital. Im Sozialismus wurde das Privateigentum an den Produktionsmitteln abgeschafft. Im Faschismus gehörten die finanzkapitalistischen Kreise zu den Zirkeln der zentralen Macht der Diktatur. In Russland war der Einfluss des ausländischen Finanzkapitals in den Handelsverträgen, in den Militärabsprachen und in der Rüstungspolitik nicht unwichtig. Unproduktive Auswirkungen hatten in beiden Systemen der „Bürokratismus“, der hierarchische Aufbau von Macht, der Terrorapparat, die schlechte Versorgunglage, die Ideologie als Ersatzreligion, die entstehende „Lethargie“ der Massen, der Alkoholismus und der Dilettantismus der „Führer“. Der Kult der Technik und der Organisation wies die andere Seite von Herrschaft und Macht auf: die Irrationalität und den mystischen Aufbau der Führerdiktatur. Selbst die unterschiedlichen Utopien von Wohlstand, Grösse, Technik, Maschinenwelten und des „neuen Menschen“ liessen sich vergleichen, weshalb die Forschung über die Ursprünge der Diktaturen in Europa Kommunismus und Faschismus als „feindliche Brüder“ behandelte, die sich gegenseitig beeinflussten. (Max Horkheimer, Hannah Arendt, Franz Neumann)

Es zeigte sich, dass die moderne Gesellschaft, ob kapitalistisch oder staatskapitalistisch, sozialistisch angelegt, die rationale Verbindung von Technik, Apparat, Maschine und Herrschaft kurzschliessen konnte mit den irrationalen Sehnsüchten der Massen und den mystischen Zielen „politischer Religionen“, die aus der praktischen Umsetzung von „Ideologie“ und der „Mission“ der Führer entstanden. Die religiösen Rituale unterminierten die Maschinenwelten und Maschinenmenschen durch die religiösen Kulte. Diese konnten für das Individuum inszeniert sein, um es den Werten von Konsum und Rausch zu unterwerfen und sie hatten die Potentialität wie im Faschismus oder Stalinismus, das Kollektiv, die Allgemeinheit, das „Arbeitsvolk“ oder die „Werktätigen“ anzusprechen. „Freiheit“ wurde deshalb sozial bestimmt und sie bedeutete die Anerkennung der bestehenden Macht bzw. die „Einsicht in die Notwendigkeit“ faktischer Herrschaft. Die bedingungslose Unterwerfung wurde als die höchste Form der „Freiheit“ angesehen.

Der Nationalsozialismus kannte wie der italienische Faschismus die Mischform des Staatskapitalismus, der zentralen Planung, des Monopol- und Finanzkapitals. Die Monopolisten nahmen über die Staatsbank und über Kredite Einfluss auf die Rüstungspolitik und auf die Ziele des Krieges. Der Nationalsozialismus unterschied sich vom Faschismus und Bolschewismus durch einen radikalen Rassismus und Antisemitismus, durch die Glorifizierung der „germanischen Rasse“ und durch einen Führerkult, der nicht primär das „Charisma“ betonte, sondern eine schicksalhafte „Vorsehung“ unterstrich. Der Führer wurde als ein mystisches „Orakel“ aufgebaut und von den unterschiedlichen Eliten und Massen anerkannt. Diese religiöse Selbstüberschätzung und ehrfürchtige Anerkennung durch die Gefolgsleute erhob diese „Vorsehung“ zum Wunderglauben und zur Heilsvision. Sie hatte den Vorteil, Wirklichkeit als Selbstsuggestion vorzustellen und zu verdrängen.

Der Nationalsozialismus setzte im hochindustriellen Deutschland auf Revanche, auf die Überwindung der Kriegsniederlage von 1918 und auf die Annullierung des Vertrages von Versailles. Ein „Grossdeutschland“, der „Soldat“ und „Arbeiter“, die „germanische Rasse“ sollten die sozialen Widersprüche und Klassen der Gesellschaft ausgleichen. Der Rassismus und Antisemitismus war in der NS – Diktatur als ein Programm der Liquidierung der „minderen Rassen“ und der Zerstörung des Judentums als eine „dominierende Rasse“ angelegt. Die „germanische Rasse“ sollte sich in einem Vernichtungskrieg als die „höhere Rasse“ beweisen oder sie würde untergehen. Die „Sklavenvölker“ sollten besiegt werden und der herrschenden Rasse dienen. Die Juden sollten als Volk ausgelöscht werden, so die NS – Propaganda. Die „Germanen“ sollten ihre Position einnehmen und zur Weltherrschaft streben. Hitler, der Verkünder dieses totalen Krieges, leitete mit dem II. Weltkrieg einen Vernichtungsfeldzug ein, der keine „Politik“, keine „Taktik“, keine Absprachen, kein Pardon, kein militärtechnisches Kalkül kannte und auf den totalen Sieg oder die totale Niederlage eingestellt war. Er verkündete mit diesem Programm den „Untergang“ der deutschen und der europäischen Tradition des Humanismus und der Aufklärung.

Nicht einmal die waffentechnische Überlegenheit der Gegner, USA, England, Russland, wurde in Rechnung gestellt. Auf eine „Wunderwaffe“ wurde spekuliert, die als „Atombombe“ und „Fernrakete“ über erste Planungen nicht hinausgekommen war. Ein Volk, das diesen Sieg nicht erreichte, sollte, so Hitler, untergehen. Hitler formulierte seine Rassenideologie als eine politische Religion, die durch Aufzüge, Fahnenkulte, Paraden und Massenterror bestätigt wurde. Der staatliche Terrorapparat, die Konzentrationslager, die Verfolgung, die Liquidierung und Erschiessungskommandos gehörten zur religiösen Zeremonie. Hitler stellte sich durch seine „Vorsehung“ ausserhalb jeder Rationalität oder jeder Einsicht und hatte deshalb nicht nur „Siege“ zu verantworten, sondern letztlich die totale Niederlage. Ihm war egal, dass Völker in diesem Krieg geopfert wurden und dass die Deutschen dazu gehören würden. Die deutschen Städte wurden zerstört. 20 Millionen Opfer wurden gezählt. Deutschland verlor für immer ein Drittel des Territoriums an andere Staaten.

Die nationalsozialistische Ideologie jedoch erfuhr nach 1945 eine permanente Neugeburt durch die Förderung durch die CIA und durch einen militanten Antikommunismus. Der hilflose Antifaschismus, die antifaschistische Pädagogik und Lautstärke konnten nur bedingt die innere Begeisterung der jungen Kämpfer erreichen. Ausserdem ging die antifaschistische Pädagogik selten auf den Zusammenhang von Rassismus, Antisemitismus und Führermission ein. Der „Klassenkrieg“ Stalins gegen die „Kulaken“ oder gegen die „Volksfeinde“ und Eliten wies durchaus Ähnlichkeiten mit dem Rassenkrieg Hitlers auf, weshalb dieser grundlegende Charakter des NS nur am Rande erwähnt wurde.  Grosse Teile der alten Rechten lebten von den „verlorenen Siegen“, von der militärischen „Ehre“ und vom „ewigen Pathos“ der Jugend und des „Krieges“, der als „Revolution“ und „Neugeburt“ als „Krieger“ und „Held“ empfunden wurde. Die junge Rechte fühlte sich in Deutschland um ihre Jugend und um ihre Zukunft betrogen. Die Rechten bildeten sich ein, die Verlierer der Modernisierung und der Europäisierung Deutschlands zu sein. Ihr Rassismus betraf die die Migranten wie Türken, Araber, Afrikaner, Asiaten, nie die Amerikaner oder Europäer. Dieser Rassismus wurde mit der Glorifizierung oder der ehrfürchtigen Anerkennung des „Führers“  und seiner „Vorsehung“ verbunden. Deshalb wurde Deutschlands angeblicher Niedergang beklagt und ein „notwendiger Widerstand“ angestrebt, um „sein Werk“ zu erfüllen. Erst jetzt wurde die Bereitschaft sichtbar, die Feindschaft gegen das Fremde militant und unversöhnlich umzusetzen.

Auf nationale Souveränität zu bestehen war durchaus gerechtfertigt. Die Scheidelinie lag im militanten Rassismus und Antisemitismus. Für die rechte Jugend umfasste das Aufbegehren nur wenige Jugendjahre, ehe sie sich über Arbeit und Familie in das normale Leben einpasste. Die militanten Kämpfer würden sich diesem Lebensweg verweigern. So wie die linke Theorie ihre Schwachstellen im kriegskommunistischen Utopismus aufwies, so hatte der Rechtsradikalismus die Bruchstellen im Rassismus, der mit einem mystischen Führerkult gekoppelt wurde.

Die Mordserie der NSU verwies auf eine Wiedergeburt der NS – Ideologie, die den Hass gegen Ausländer in einem Programm der Morde umsetzte. Vollkommen kühl wurde die Pistole angesetzt und der vermeintliche Feind oder Fremde getötet. Mental zeigten sich der Zynismus und der Rausch der Erschiessungskommandos, über Tod und Leben zu entscheiden. Die Gemeinschaft oder die Gruppe als Rückhalt und Machtgefühl,  eine Ideologie als Glaube und „Vision“, machten deutlich, dass eine Ideologie als Rechtfertigung angestrebt wurde, die existentielle Grundlagen hatte und deshalb die Gewissheit enthielt, einer „Vorsehung“ zu dienen. Die mystische Mission des „Führers“ sollte erfüllt werden.

Es genügt heute nicht, die Täter für verrückt zu erklären oder sie zu „Einzeltätern“ zu deklarieren. Sie begingen Morde auf der Grundlage des mystischen Existenzialismus der Nazi – Ideologie und übertrugen sie auf die politischen Spannungen der Gegenwart. Hier konnte eine Grundlage der „ideologischen Reproduktion“ erkannt werden. Die Ideologie begeisterte nachfolgende Generationen, die im „Fremdenmord“ so etwas entdeckten wie die „Wiedergeburt Deutschlands“ unter dem Vorzeichen des „Nationalsozialismus“. Die islamischen Selbstmordattentäter, die sich selbst opferten, um den „verruchten Feind“ zu töten, mögen Pate gestanden haben. Jetzt zeigte sich, dass es fatal war, dass  versäumt wurde, die verhängnisvolle Bedeutung des rassistischen Existenzialismus im Nationalsozialismus aufzuzeigen. Eine „Enthitlerung“ wie die „Entstalinisierung“ bei den Kommunisten hatte in den konservativen Kreisen nicht stattgefunden. Es wäre sinnvoll, wie bei Stalin die historische Bedeutung und Kontinuität Russlands mit der Zerstörung dieser Tradition zu verbinden. Hitler übernahm anfangs die positiven Ansätze Preussens und des „Reiches“ von Organisation, Planung, Schule, Wissenschaft, Militär und Fabrik, um sie im „totalen Krieg“ dem Wahn des Rassismus zu opfern und zu zerstören. Die Ansätze von Sebastian Haffner, Allan Bullock, Lothar Kettenacker, Ian Kershew, Ernst Casirer u. a. hätten eine weitere Aufmerksamkeit  verdient, die Umbrüche und die Irrationalität in der „Führerfunktion“ Hitlers aufzuzeigen. Auch die demokratische Seite musste mit ihrer Analyse näher an das „psychologische Machtkalkül“ der NS – Ideologie herankommen. Dagegen mit dem phänomenologischen Bild des „demokratischen Rechtsstaates“ vorzugehen, wird nicht ausreichen. Verbote verdrängen lediglich die unterschiedlichen Grundlagen der NS – Ideologie, ohne sie wirkungsvoll bekämpfen zu können. Die NS – Diktatur, der totale Krieg und die Massenmorde sind als das „deutsche Trauma“ anzusehen, über das gesprochen werden muss, um diese „Radikalität“ von Unterwerfung und Herrschaft in der modernen Gesellschaft, ihre Kehrseite von Krieg und Hass nicht erneut zuzulassen.

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